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Systemisch denken – autistisch fühlen: Warum Einzelpsychotherapie bei Autismus unverzichtbar ist und Gruppentherapie eine wertvolle Ergänzung ist!

Aktualisiert: 18. Apr.


Einzeltherapie bei Autismus

Einleitung

Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) gehören zu den am meisten missverstandenen neurobiologischen Entwicklungsbesonderheiten. Ob ein Kind mit hoher Intelligenz (sogenannter hochfunktionaler Autismus) oder mit zusätzlicher kognitiver Einschränkung lebt – die tieferliegenden Herausforderungen ähneln sich: Reizüberflutung, mangelndes soziales Verständnis, emotionale Dysregulation, fehlende Alltagstransfers und die Erfahrung permanenter Überforderung.

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Sicht auf Autismus gewandelt – weg von „Defiziten“ hin zu neurodiverser Kompetenz. Doch die Versorgungslage ist weiterhin problematisch: es fehlt an spezialisierten Angeboten, multiprofessioneller Zusammenarbeit und therapeutischen Formaten, die individuell UND vernetzt arbeiten.

Einzelsettings – systemisch fundiert – können hier entscheidende Impulse setzen.


Autismus heute: Zwischen Überforderung und Isolation

Zahlreiche Studien weisen auf alarmierende Trends hin:

  • Autistische Menschen – unabhängig von IQ – haben ein erhöhtes Risiko für komorbide Störungen wie Depression, Angst, Essstörungen oder Zwangserkrankungen (Lai et al., 2019; Simonoff et al., 2008).

  • Besonders hochfunktionale Autist:innen werden häufig spät diagnostiziert – oft erst nach Burnout, Schulabbruch oder Isolation (Happé et al., 2006).

  • Menschen mit zusätzlicher geistiger Behinderung haben kaum Zugang zu feinfühligen psychotherapeutischen Angeboten – obwohl Verhaltensauffälligkeiten meist Ausdruck von Überforderung oder fehlender Struktur sind, nicht „Sturheit“ (Matson et al., 2011).

  • Die Lebenszufriedenheit autistischer Erwachsener hängt weniger vom Schweregrad des Autismus ab als von sozialer Inklusion und verlässlicher Unterstützung (Mason et al., 2018).


Das Problem: Weder Schulen noch viele Therapeut:innen oder Einrichtungen sind ausreichend geschult. Es fehlen individuelle Räume zum Reflektieren, zur Stressreduktion und zur Identitätsbildung – und genau hier setzt das Einzelsetting an.



Einzeltherapie bei Autismus


Einzelpsychotherapie bei Autismus- der unterschätzte Wirkraum


Systemische Einzelsettings ermöglichen mehr als nur „Förderung“ – sie sind oft der einzige Ort, an dem sich junge Autist:innen sicher fühlen können:

  • Struktur & Vorhersehbarkeit: Regelmäßige, gleich ablaufende Sitzungen helfen, Vertrauen aufzubauen und Überforderung zu vermeiden.

  • Identitätsstärkung: Viele Autist:innen erleben sich als „falsch“. In Einzelsettings können sie ein positives Selbstbild entwickeln und ihre Eigenheiten als Ressourcen begreifen.

  • Emotionsregulation & Stressbewältigung: Reizoffenheit führt oft zu innerer Überflutung. Gemeinsam erarbeitete Strategien (z. B. Sensorikboxen, Atemtechniken, Gedankenstopps) stärken die Selbstregulation.

  • Systemisches Verständnis des Umfelds: Wir beziehen Familie, Schule und gesellschaftliche Vorstellungen von „Normalität“ bewusst in unsere Arbeit ein. Denn häufig entstehen Konflikte nicht durch den Autismus selbst, sondern durch die Reaktionen und Strukturen der Umgebung.


🧠 Wissenschaftlicher Hintergrund

Was bedeutet ein systemischer Fokus bei Autismus-Spektrum-Störungen (ASS)?

Ein systemischer Ansatz richtet den Blick nicht nur auf die betroffene Person, sondern bezieht auch das soziale Umfeld mit ein – etwa Familie, Schule oder gesellschaftliche Vorstellungen von „Normalität“. Viele Konflikte entstehen weniger durch den Autismus selbst, sondern durch Erwartungen und Dynamiken im Umfeld. Ziel ist es, dieses Umfeld besser zu verstehen und gemeinsam Veränderungen zu ermöglichen, die entlastend und unterstützend wirken.


Ergänzend dazu zeigen verschiedene therapeutische Einzelansätze bei ASS eine nachgewiesene Wirksamkeit:

  • Kognitive Verhaltenstherapie (CBT) kann besonders bei Ängsten effektiv helfen (Wood et al., 2009).

  • Psychoedukation und Stressreduktion in Einzelkontakten steigern nachweislich die Lebensqualität (Bishop-Fitzpatrick et al., 2017).

  • Mentalisierungsförderung in dialogischen Gesprächen unterstützt die Entwicklung sozialer Wahrnehmung und Empathie (Klin et al., 2003).

  • Systemische Elemente im TEACCH-Modell – z. B. durch Einbindung der Familie und strukturierende Alltagsgestaltung – zeigen nachhaltige Verbesserungen im Zusammenleben (Mesibov & Shea, 2010).


Gruppentherapie – aber mit Vorbereitung

Sozialtraining oder Gruppentherapie können wichtige Lernfelder sein – aber nur, wenn die Person bereit ist. Ohne innere Stabilität kann eine Gruppe retraumatisierend wirken – z. B. wenn soziale Überforderung nicht ausreichend gepuffert wird.

In Gruppensettings können jedoch trainiert werden:

  • Perspektivübernahme & Komplimente-Austausch

  • Körpersprache lesen & deuten

  • Kommunikationsübungen

  • Selbstbehauptung & Nein-Sagen

  • Emotionale Rückmeldung & Impulskontrolle


Wichtig: Gruppen müssen klein, reizarm, klar strukturiert und geschützt sein – und auf Freiwilligkeit beruhen.


Einzeltherapie bei Autismus


Was fehlt Autist:innen heute wirklich?

Ganz gleich ob mit oder ohne hohe Intelligenz – viele Menschen im Autismus-Spektrum sehnen sich nach:

  • Akzeptanz ohne Erwartungen

  • Zugehörigkeit ohne Zwang zur Anpassung

  • Therapie, die nicht „normalisieren“, sondern stärken will

  • Alltagsstrategien, die realistisch sind!

  • Verlässliche Bezugspersonen außerhalb der Familie!

  • Systeme, die verstehen, dass „Wutausbruch“ oft „Stressausbruch“ bedeutet!


Besonders Einzelsettings können diese Bedürfnisse auffangen, indem sie achtsam, individuell, prozessoffen und systemisch sind – mit Zeit, Raum und Wertschätzung.


Fazit:

Einzel- und Gruppentherapie im Zusammenspiel: Zwei Wege, ein Ziel

Einzel- und Gruppentherapie sind keine Gegensätze – sie sind zwei verschiedene Wege mit einem gemeinsamen Ziel: Selbstwirksamkeit, Stabilität und soziale Teilhabe für autistische Menschen.

Das Einzelsetting ist oft der erste und wichtigste Schritt. Hier entsteht Vertrauen, Struktur und ein Ort, an dem sich die Person nicht erklären oder anpassen muss. Es ist ein Schutzraum für echte Begegnung – frei von Reizüberflutung, Gruppendruck oder sozialen Erwartungen. Gerade für autistische Kinder, Jugendliche oder Erwachsene mit zusätzlichen Belastungen (wie Schlafproblemen, Ängsten, Zwängen oder Schulverweigerung) ist das Einzelgespräch häufig der einzige Raum, in dem echte Verarbeitung und Regulation ermöglicht wird.


Die Gruppentherapie hingegen kann dann sinnvoll sein, wenn Stabilität und Selbstregulation bereits gefestigt sind – als Ort zum Üben sozialer Fähigkeiten, zum Erleben von Gemeinschaft, zur Erweiterung der Perspektive. Aber: Gruppentherapie braucht Vorbereitung, Begleitung – und Nachsorge. Sie ist keine schnelle Lösung, sondern ein Schritt in einem Prozess, der im Einzelsetting beginnt und dort immer wieder verankert werden sollte.


Kurz gesagt:

  • Das Einzelsetting reguliert, stärkt, sortiert.

  • Die Gruppe fordert, spiegelt, erweitert.

  • Zusammen ermöglichen sie ein differenziertes therapeutisches Wachstum, das sowohl die Innenwelt als auch das soziale Erleben einbezieht.

In einer Welt, die Autist:innen ständig „anders“ nennt, brauchen wir mehr Räume, die sagen:

Du bist genau richtig – und wir finden gemeinsam deinen Weg!





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